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FAMILY WORK anno 1970: Tina & Willi |
Herzlich willkommen, liebe Gäste, liebe Freunde,
eines meiner Lieblingsfotos aus Kindertagen zeigt meinen
Vater zusammen mit mir, die ich gerade erst krabbeln gelernt habe, im Strampelanzug,
im Wohnzimmer auf dem bunten 70er-Jahre-Teppich, halb liegend beim Zeichnen.
Meine kleine Faust windet sich noch recht grobmotorisch um den Buntstift, aber ein
Anfang war gemacht.
Man streitet sich, ob künstlerisches Talent angeboren
oder sozialisiert ist – ich glaube, es ist eine Mischung aus beidem, ich jedenfalls
bekam nicht nur die Gene mit in die Wiege, sondern eine künstlerische Ausbildung quasi frei Haus.
An dieser Stelle hatte ich ursprünglich vor, Sie mit
meinem beruflichen Werdegang zu quälen, aber ich habe dann entschlossen,
lieber gleich zum Kern der Sache zu kommen, und darauf einzugehen, wie
ich zur abstrakten Malerei kam, denn um diese geht es ja heute – neben den
Arbeiten meines Vaters.
Seit meiner ersten Einzel-Ausstellung 1990 in einer
kleinen Galerie in Altona, die es natürlich längst nicht mehr gibt, in der ich Frauenporträts
zeigte, begannen mich meine eigenen gegenständlichen Darstellungen zu
langweilen. Ich hatte schlichtweg keine Lust mehr dazu. Ich brauchte etwas
Neues.
Ich hatte die Vision von großen abstrakten
Kompositionen in leuchtenden Farben, SO stellte ich mir meine Malerei zukünftig
vor: Expressiv, dynamisch, wild, frei. Der Prozess des Malens selbst sollte im
Mittelpunkt stehen. Und so machte ich mich voller Schaffenswut ans Werk.
Es wurde ein jahrelanger, ja, ein jahrzehntelanger Weg.
Denn nichts war, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Meine anfängliche Überzeugung, abstrakte Malerei sei schnell und leicht
gemacht, entpuppte sich als absoluter – wenn auch weit verbreiteter - Irrglauben.
Aber die Suche nach der Umsetzung meiner Vorstellung
wurde zu einer Herausforderung - mein Ehrgeiz war geweckt. Ich besuchte Ausstellungen
und wälzte Bücher über den abstrakten Expressionismus und die Geschichte der Abstraktion in der Malerei.
Ich probierte und probierte, ich malte Tag und Nacht, zumeist auf dem Fußboden,
wie in Kindertagen, bis ich schließlich an meine persönlichen Grenzen stieß,
weil ich immer noch nicht das auf die Leinwand gebracht hatte, was mir vor
meinem inneren Auge vorschwebte. Also suchte ich mir Hilfe.
Ich wurde 2 Jahre lang Schülerin von zwei
ausgezeichneten Malerkollegen und nahm
Unterricht in Ottersberg bei Michael Kohr, seines Zeichens Professor für freie
Malerei an der Fachhochschule Ottersberg.
Im Gegensatz zu meinem Vater male ich nun also fast ausschließlich
abstrakt, auch und gerade was meine Keramik angeht, außer vielleicht in meiner
täglichen Skizzenarbeit oder was die kleinen Landschaften angeht, die ich quasi
als Hobby nebenbei produziere – aber das Hauptwerk ist und bleibt abstrakt, und
deshalb erscheint es mir wichtig, zum Verständnis noch ein paar Worte über die
Abstraktion in der Malerei zu sagen.
Anfang des 20. Jahrhunderts
löste sich bekanntlich die bildende Kunst von der gegenständlichen Darstellung
und befasste sich mit dem Kern der Malerei: der Farbe – ist sie doch DAS Medium
der Malerei schlechthin. Es sind die Farben und natürlich die Formen, die ein
Mensch zuerst erblickt – erst danach wird ja einer Form in einer bestimmten
Farbe ein Begriff zugeordnet.
Kunst soll aber schon
etwas können oder bewirken; nach Goethe, im Gegensatz zu Newton, aber der kam
ja auch aus einer ganz anderen Abteilung und verdarb sich die Augen bei seinen
Versuchen zum Thema Licht und Farbe, soll das Ziel der Rezeption die
Bewusstseinserweiterung sein, und das wird auch erreicht, denn Farbe erweitert
naturgemäß die Wahrnehmung – ein rote Quadrat z.b. bewirkt
beim Betrachter etwas anderes als ein schwarzes.
Manche Leute macht eine rote Farbfläche regelrecht aggressiv! Ich persönlich
werde dagegen wütend, wenn ich auf ein grünes Gemälde schaue. Wo Grün doch angeblich
so beruhigend sein soll… Aber da kommt es dann wieder auf die FORM an – ein
Blatt im Wind wirkt einfach anders als eine grüne Farbfläche. In diesem Kontext
bekommt also monochrome und auch abstrakte Mehrfarben-Malerei eine emotionale
Bedeutung. Und das, so mein Professor, sieht der Banause nicht.
Darum sagte er
immer gerne: >>Die abstrakte und monochrome Malerei hat gerade erst
begonnen, weil die Menschen sie noch immer nicht wirklich verstehen.<<
Und: Ein
gutes Bild müsse den Betrachter in eine 4. Dimension, in eine Art Rausch
versetzen - oder hypnotisieren, wenn man so will.
In der
abstrakten Malerei, in der die übliche Perspektive aufgehoben wird, es aber dennoch
eine Paraperspektive gibt, die Tiefe und Spannung erzeugt, ist jede Form und
jede Farbe gleich wichtig, einzig der Raumaspekt zählt. Da jedes Teil also
gleich wichtig ist, ist der Betrachter oft irritiert und versucht einen Sinn zu
sehen, versucht, wie beim Expressionismus oder Impressionismus etwas
Gegenständliches zu erkennen. Doch das funktioniert nicht, wenn man
Abstraktionen verstehen will; es geht einzig und allein um Komposition und
Emotionen.
Die Malerei des 20. Jahrhunderts machte neue Inhalte, aber auch
Farbzusammenhänge möglich. Und das geht immer weiter. Während man um 1960 an
Kunsthochschulen noch lehrte: >>Grün und Blau trägt die Sau<< oder
>>Goldener Rand, des Malers Schand<<, kümmern solche Sprüche heute überhaupt nicht; im Gegenteil: Es
geht ja darum, immer wieder die Regeln zu brechen und Neues zu schaffen.
Mein Kunstprofessor meinte jedenfalls nach seinen Vorlesungen über die
Farblehre Goethes oder Ittens immer, man solle den >>ganzen
Quatsch<< gefälligst gleich wieder vergessen, denn, das seien
Gesetzmäßigkeiten, die in der Kunst gebrochen werden müssten. Man müsse sich aber stets der
Farbe hingeben, die Farbe leben, die Farbe sein, so lange in das Farbgeschehen eintauchen,
bis die Form erscheint. Und Form ist nicht gleich Gegenstand!
Wie im Leben kann dabei nichts erzwungen werden, sonst würde das
Ergebnis nicht stimmen, es würde schlicht peinlich. So peinlich wie ein
schlechtes Gedicht oder eben ein hingepfuschtes Bild von jemandem, der von
Malerei keine Ahnung hat. Es muss immer auf Stimmigkeit geprüft werden. Eine
Farbform, die nicht stimmt, wirkt banal und aufgesetzt.
Doch man kann sein Sujet noch so gut beherrschen -
Wohl jeder abstrakte
Maler hat sie schon zu hören gekriegt: die blöden Kommentare von selbst
ernannten Kunstexperten. Ein oft gebrauchter Vorwurf ist, moderne Malerei sehe
aus wie die Schmiererei eines Kindes - was im Übrigen auch als Kompliment zu
würdigen wäre, wenn man nicht genau wüsste, dass es nicht so gemeint ist.
"Das kann ich auch", denkt sich so mancher und würdigt die Ausbildung
und den Lebenszweck eines Künstlers damit hemmungslos herab. Dazu gibt es ja
diesen Comic, in dem ein Museumsbesuchter zu einem kubistischen Gemälde sagt: "Das kann ich auch!", und das Bild antwortet: "Kannst du nicht!"
Es verhält sich anders.
Jeder, der einen geschulten Blick auf Malerei hat, erkennt an einem Exponat
sofort, ob der Künstler was "kann", nämlich schon allein an der
Technik. Ein Laie wird niemals die malerischen Techniken draufhaben wie ein
"gelernter" (ob studierter oder durch Schülerschaft geprägter) Maler.
(Der Maler kann natürlich auch ein Kind sein, warum auch nicht.) Und das Wissen
um die Technik und die dahinter stehenden Konzepte sieht man. Man sieht es an
der Komposition, am Ausdruck, am Auftrag der Farben, an dem Umgang mit
grafischen Elementen, an der Pinselführung.
Eine völlig andere Sache
ist, ob mir persönlich eine Arbeit gefällt, was Inhalt, Thema oder Farbgebung
angeht. Das hat aber nichts damit zu tun, ob der Maler begabt ist oder nicht.
Ein sogenanntes "künstlerisch wertvolles" Bild kann durchaus hässlich
erscheinen. Es ist nicht Aufgabe der Kunst, dekorativ zu sein.
Rot
war die erste Farbe, die einen Namen bekam, heißt es, und Farben und Formen ergeben
zusammen eine mehr oder weniger kontrastreiche Komposition, so geschieht es
auch in der Natur, nur dass wir dort das Ergebnis genau benennen.
Ein Baum ist grün und hat eine bestimmte Form,
Ein Apfel ist rot und rund, das Meer ist blau usw.
Was aber, wenn die Benennung (Meer, Apfel, Baum) fehlt?
Mindert das dann den Genuss des Sehens?
Muss ein Bild etwas Reales darstellen?
Oft versuchen Betrachter in meinen Arbeiten Dinge
auszumachen: rosa Elefanten, Sonnenuntergänge, ganze Landschaften oder gar soziale
Zusammenhänge. Diese Inhalte sind aber zumeist nicht oder eigentlich nie von
mir beabsichtigt und fallen unter die Rubrik Bewusstseinserweiterung des
Betrachters oder DESSEN unbewusste oder vorbewusste Realität. Was wiederum in
der Kunsttherapie interessant wäre. Um es ganz klar zu machen: ich male überwiegend keine gegenständlichen Motive, es ist kein
Expressionismus, sondern Abstraktion in Reinform.
Falls ich ein Bild am Ende nach einer Landschaft
benenne, was dann und wann vorkommt, so ändert das daran nichts. Das mache ich,
weil mich die Farbgebung und Komposition
an etwas erinnern, an ein Gefühl, einen farblichen und figürlichen Eindruck.
Dann ist der Titel wie eine letzte Schicht Farbe zu begreifen, eine Art
Firniss.
Wenn ich ein Bild beginne, genieße ich den Moment vor
der leeren Leinwand, denn in diesem Moment bin ich total frei, und alles ist
möglich. Nie wieder nach diesem ersten Schritt habe ich in dem Arbeitsprozess
die Möglichkeit, mich derart auszutoben, wie in der ersten Schicht Farbe.
Ich entscheide spontan, aus dem Bauch heraus, welche Farbe
mir heute gut tut und verwende sie meist zusammen mit Weiß und Schwarz und
einem Komplementärkontrast. Mich
interessieren starke Kontraste, sie
vermitteln nicht nur Tiefe und Spannung, sondern auch eine gewisse Dramatik.
Grafische Elemente, aufgebracht mit Grafit oder
Kreiden, trennen oder verbinden die Farbflächen und setzen Akzente, bereits in
der ersten Lage, auch wenn im Laufe der nächsten Farbaufträge vieles wieder
verschwinden mag.
Meine Malerei ist ein authentischer Prozess, sowohl
gefühlsmäßig als auch technisch – Pinselhaare haben ihre Berechtigung und
dürfen auf den fertigen Bildern verbleiben.
Ich arbeite solange, bis der Punkt
erreicht ist, das Bild loszulassen. Das Schwierigste ist dabei, sich selbst zu
reduzieren und von starren Formen und Flächen, von einem starren Ausdruck
insgesamt, zu befreien.
Cézanne sagte: Malen bedeutet, seine farblichen Eindrücke
registrieren.
Und so betrachte ich meine Umgebung.
Picasso
sagte:
„Ich konnte schon früh zeichnen wie Raphael,
aber ich habe ein Leben lang dazu gebraucht, wieder zeichnen zu lernen wie ein
Kind.“
Und
es stimmt; Freiheit ist eine der
schwierigsten Disziplinen, in der Malerei ebenso wie im Leben überhaupt.
Nun
möchte ich Sie dazu ermuntern, Ihren Gedanken und Gefühlen beim Betrachten der
Exponate freien Lauf zu lassen. Viel Freude!