Samstag, 17. Mai 2014

Die gegenstandslose Welt, das befreite Nichts

Die Meditation der Malerin:
Sich der Farbe hingeben und
reine Empfindung werden.

Monochrome Quadrate -

oder: was soll das eigentlich?

von Kristina Botha

 >>Kästchenmalerei<< nannte es mein Kunstprofessor. Aber ich muss weiter ausholen: Kasimir Malewitsch, der >>Gottvater des schwarzen Quadrates<<, sagte dazu 1927: >>Die Welt als Empfindung der Idee, unabhängig vom Bild – das ist der wesentliche Inhalt der Kunst. Das Quadrat ist nicht das Bild. So, wie der Schalter und der Stecker auch nicht der Strom sind.<< Soll heißen: Die Kunst befreit sich vom >>Ballast der Gegenständlichkeit<< und wird >>Reine Empfindung<<, etwas, für das Malewitsch die Bezeichnung Suprematismus erfand: die gegenstandslose Welt oder das befreite Nichts


Schwarzes Quadrat,
30 x 30 cm, Öl auf Leinwand, KBOTHA
Das Quadrat hat also einen überaus wichtigen Stellenwert in der Geschichte der Malerei, denn, um sich nicht ständig zu wiederholen und wirklich kreativ zu sein, muss Kunst sich auch weiter entwickeln. Statt also immerzu die Wirklichkeit abzubilden, was im Zeitalter der Fotografie und des Films eh langweilig wurde, löste sich die bildende Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts von der gegenständlichen Darstellung und befasste sich mit dem Kern der Malerei: der Farbe und der Form.
Denn ist sind die Farben und die Formen, die ein Mensch zuerst erblickt – erst danach wird ja einer Form in einer bestimmten Farbe ein Begriff zugeordnet. In diesem Zusammenhang muss auch ein anderer König der Quadrate genannt werden: Johannes Itten (1888 – 1967). Itten wurde durch seine Lehrtätigkeit und Arbeit mit Studenten am Bauhaus zum Begründer der Farbtypenlehre (Hauptwerk: >>Kunst der Farbe<<), die sich an Goethes Farbenlehre und der seines Lehrers Adolf Hölzel anlehnt und beide erweitert bzw. vervollständigt. Itten interessierten die Farben nicht nur theoretisch, denn er war selbst Maler und sowohl an ihrer Wirkung auf den Rezipienten als auch an ihrem Zusammenwirken mit der Form interessiert. Er ordnete den Farben Formen zu; das Quadrat ist beispielsweise rot, ein Kreis blau, ein Dreieck gelb. Das hat auch alles seinen Sinn, aber die Erklärung erscheint mir an dieser Stelle zu lang und zu öde. Jedenfalls wird seine Farbtheorie noch heute an einigen Kunsthochschulen gelehrt.
Rotes Quadrat,
30 x 30 cm, Öl auf Leinwand, KBOTHA

So war das Quadrat nicht mehr schwarz, sondern rot.
Mein Kunstprofessor meinte nach seinen Vorlesungen darüber, man solle den >>ganzen Quatsch<< gefälligst gleich wieder vergessen, denn, das seien Gesetzmäßigkeiten, die in der Kunst gebrochen werden müssten, sonst sei das alles nur >>Mist<< und tauge nichts.
Kunst muss schon etwas können oder bewirken; nach Goethe, im Gegensatz zu Newton  (aber der kam ja auch aus einer ganz anderen Abteilung und verdarb sich die Augen bei seinen Versuchen zum Thema), soll das Ziel der Rezeption die Bewusstseinserweiterung sein, und das wird auch erreicht, denn Farbe erweitert naturgemäß die Wahrnehmung – das rote Quadrat bewirkt beim Betrachter etwas anderes als ein schwarzes. In diesem Kontext bekommt monochrome Malerei eine emotionale Bedeutung. Und das sieht der Banause nicht.
Darum sagte mein Professor gerne: >>Die abstrakte und monochrome Malerei hat gerade erst begonnen, weil die Menschen sie noch immer nicht verstehen.<<
In der abstrakten Malerei, in der die übliche Perspektive aufgehoben wird, es aber eine Paraperspektive gibt, die Tiefe und Spannung erzeugt, ist jede Form und jede Farbe gleich wichtig, einzig der Raumaspekt zählt, die sogenannte 4. Dimension (Bewusstseinserweiterung!). Da jedes Teil, jede Farbe gleich wichtig ist, ist der Betrachter oft irritiert und versucht einen Sinn zu sehen, versucht, wie beim Expressionismus oder Impressionismus etwas Gegenständliches zu erkennen. Doch das ist Unsinn und funktioniert nicht, wenn man Abstraktionen verstehen will; es geht einzig um Komposition und Emotionen. Von der Farbe kommt man automatisch zur Form. Die Malerei des 20. Jahrhunderts machte neue Inhalte, aber auch Farbzusammenhänge möglich. Und das geht immer weiter. Während man um 1960 noch lehrte: >>Grün und Blau trägt die Sau<<, kümmern solche Sprüche heute überhaupt nicht; im Gegenteil: Es geht ja darum, immer wieder die Regeln zu brechen und Neues zu schaffen, wobei ich nicht weiß, ob eine Revolution in der Kunst noch möglich ist, aber wer weiß?
Kästchenmalerei, Öl auf Leinwand, KBOTHA 2014
Nach 1900, nach Macke und Marc zum Beispiel, verselbstständigte sich die Farbe, sie wurde ungegenständlich und zum eigenen Thema, soll heißen: Bildinhalt. Abgesehen von der Komposition natürlich. So musste sich der Betrachter nun mit dem Wert der Farbe auseinandersetzen, da sie ganz im Vordergrund steht – ist sie doch auch DAS Medium der Malerei! Dazu bedarf es von Seiten des Künstlers sowie auch des Betrachters einer großen Reife, was das Sehen angeht, viel Einfühlungsvermögen und Hingabe. Denn man muss sich der Farbe HINGEBEN, die Farbe >>leben<<, so lange in das Farbgeschehen eintauchen, bis die Form auftaucht, was sehr schnell gehen kann, aber nicht muss. Und Form ist nicht gleich Gegenstand! Das kann man nicht deutlich genug betonen. Wie im Leben kann nichts erzwungen werden, sonst würde das Ergebnis nicht stimmen, es würde schlicht peinlich. So peinlich wie ein schlechtes Gedicht oder ein hingepfuschtes Bild von jemandem, der von Malerei keine Ahnung hat. Es muss immer auf Stimmigkeit geprüft werden. Eine Farbform, die nicht stimmt, wirkt banal und aufgesetzt. Es war Cézanne, der sagte: >>Man muss die Farbe leben, die Farbe WERDEN.<< Sich also hinein fühlen. Fühlen, was sie mit einem macht, siehe Itten. Die Komposition besteht dann stets aus einer Außen- und Innenform und durch Kontraste, von denen es eine wahre Fülle gibt; durch die Vielfältigkeit der Kontraste und die Mehrfarbigkeit wird noch mehr Spannung erzeugt. Während man bei der monochromen Malerei über eine Farbe meditiert, sich nur auf diese eine Farbe, von der es meist unzählige Varianten gibt, konzentriert, das >>perfekte<< Rot oder Grün oder was auch immer erstrebt, wird bei der Mehrfarbenmalerei das Augenmerk auf die Kontraste der Farben gelegt. Die Kontraste sind nach Goethe und Itten Hell-Dunkel-Kontraste, Warm-Kalt-Kontraste, Farbansichtskontraste (jede Farbe zu jeder Farbe), reine Farbe zu getrübter Farbe, Quantitäts-Kontraste (Viel-Wenig-Kontraste), Komplementär-Kontraste, Simultan-Kontraste und Sukzessiv-Kontraste (Stichwort Nachbild und Gegenfarbe).
Man bedenke auch, Kunst muss nicht schön, nicht dekorativ sein. Kunst soll das Bewusstsein erweitern und zum Nachdenken anregen. Wie immer im Leben geht es auch hier darum, sein Hirn einzuschalten und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Ob man etwas mag oder schön findet, ist jedoch nicht das Kriterium zur Beurteilung guter oder wahrer Kunst; was gute Kunst ist, erschließt sich oftmals nur dem >>eingeweihten<< und geschulten Betrachter. 


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